Sommeruniversität 2024 – D DIMENSIONEN VON WISSEN UND DENKEN: KONSTRUKTION UND KRITIK

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Seminare

Es werden die folgenden Seminare angeboten:

D 1 / Was ist (noch) konservativ?

Schon vielfach wurde dem Konservatismus der Totenschein ausgestellt, doch blickt man auf gegenwärtige politische Debatten, dann lässt sich eine regelrechte Renaissance des Konservativen konstatieren. Die Diskussionen um den vermeintlichen Verlust des konservativen Markenkerns der CDU / CSU, die metapolitischen Initiativen (neu)rechter Akteure zur Etablierung eines authentischen, d. h. antiliberalen Konservatismus oder die Debatten um einen ökologischen Wertkonservatismus als Antwort auf die Herausforderungen der globalen Klimakrise sind Zeugnisse der kontroversen Deutungskämpfe um den Begriff des Konservatismus, in denen jedoch die Konturen der jeweiligen konservativen Selbstverständnisse relativ vage bleiben. In dem Seminar wollen wir uns an einer historisch-systematischen Kartographierung des konservativen Denkens versuchen, um diese gegenwärtigen Debatten kritisch einordnen zu können. Die Beantwortung der Leitfrage »Was ist (noch) konservativ?« setzt zum einen eine Minimaldefinition des Konservatismus voraus, die wir uns erarbeiten wollen, und zielt zum anderen auf eine Auslotung zweier Grenzbereiche des Konservativen: Erstens expliziert es die dilemmatische Konstellation des Konservativen und fragt, ob und inwiefern sich der Konservatismus in modernen, d. h. nachständischen und säkularisierten Gesellschaften überhaupt noch als originäre Weltanschauung behaupten kann, ohne sich in systematische Selbstwidersprüche zu verstricken.
Zweitens blicken wir auf den »Narrensaum « des Konservatismus und beschäftigen uns mit militanten und intransigenten Selbstverständnissen dieses politischen Denkens sowie dessen Beziehungen zum (neu)rechten Milieu. Nach einer problemorientierten Einführung, in der wir uns mit den theoretischen Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen des Konservativen auseinandersetzen, betrachten wir anschließend wichtige Entwicklungsstufen des konservativen Denkens vom gegenrevolutionären Konservatismus des 19. Jahrhunderts über die Radikalisierung des konservativen Denkens in der Zwischenkriegszeit bis zum ambivalenten Deutungskampf um das Konservative seit den 1960er Jahren.
Indem wir uns so den Konservatismus als eine komplexe Ideologie erschließen, lassen sich die eingefahrenen Pfade rein apologetischer oder polemischer Perspektiven auf den Konservatismus überwinden und die Chancen und Risiken des konservativen Denkens in der (liberalen) Moderne kritisch und offen diskutieren.
Im zweiten Schritt werden wir dann einige systematische Fragen klären, die für die Gegenwart und Zukunft des Konservatismus äußerst relevant sind: Lässt sich der Konservatismus als Ideologie bzw. Theorie fassen oder steht das Konservative tatsächlich quer zu weltanschaulichen Dingen? Inwiefern kann man zwischen moderaten und radikalen Konservativen unterscheiden? Wie verhalten sich die sehr unterschiedlich geprägten Konservatismen verschiedener Kulturräume zueinander und wie plausibel sind vor diesem Hintergrund Vorstellungen eines universellen Konservatismus?
In dem Seminar werden wir uns geschichts-, politik-, kultur- und sprachwissenschaftliche Zugänge zum Konservatismus gemeinsam erschließen und im Rahmen von konzentrierten Einführungen zu ausgewählten Aspekten des konservativen Denkens, selbstständigen Gruppenarbeitsphasen sowie niedrigschwelligen Impulsvorträgen intensiv mit konservativen Quellentexten und Debattenbeiträgen beschäftigen.
Ein Reader mit Texten wird vorab zur Verfügung gestellt, Gastreferent*innen sind angefragt.

Seminarleitung: Tobias Adler-Bartels
Veranstaltungsort: Odenthal

Zeitraum: 29. Juli - 2. August 2024
Dauer: 5 Tage

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D 2 / Du beweist noch händisch?!

A) Ein Einblick in maschinengestützte mathematische Beweise: Was genau ist ein mathematischer Beweis? Und sind Computer in der Lage, originelle Beweise zu finden? Beweise stehen im Zentrum der Mathematik: Ein charakteristisches Merkmal dieses Fachgebiets besteht darin, Hypothesen durch sorgfältige Argumentation zu überprüfen, auch mit Hilfe von Computern. Potentiell eröffnen dabei Fortschritte im Bereich maschinellen Lernens und insbesondere der Large Language Models neue Möglichkeiten, Mathematiker*innen zu helfen. Wie lange wird Mathematik noch ohne Unterstützung von künstlicher Intelligenz gemacht?

B) Bedeutung und Geschichte der Beweise in der Mathematik Welche Funktion erfüllen Beweise in der Mathematik? Um besser zu verstehen, was überhaupt ein mathematischer Beweis ist, welche Rolle er spielt und wann er gültig ist, befragen wir die Mathematikgeschichte: von Euklid über Weierstrass, Russell und Gödel hin zu computergestützten und »formalen« Beweisen mit Hilfe von Computern. Dabei wollen wir beispielhaft einige Beweistechniken konkret kennenlernen und an Beispielen anwenden (insbesondere für Teilnehmende aus anderen Fachrichtungen, die keine Grundvorlesungen in Mathematik besucht haben). Außerdem wollen wir lückenhafte, mangelhafte und fehlerhafte Beweise und den Umgang damit in der Mathematikcommunity diskutieren.

C) Formale gegenüber informellen Beweisen Wie lassen sich Beweise »absichern« und formalisieren? Können Menschen hinreichend abgesicherte und formalisierte Beweise noch verstehen und erklären? Wir wollen verstehen, was computergestützte Beweise sind, und was formale Beweise sind. Dafür schauen wir uns einige bekannte Beweise an, die nur mit Computerhilfe möglich waren. Ein praktischer Teil des Seminars bietet die Gelegenheit, mit Hilfe des interaktiven Beweisprüfers »Lean« direkte Erfahrungen im Umgang mit formalen Beweisen zu sammeln.

D) Wie können Computer Mathematiker*innen assistieren? In den letzten zehn Jahren gab es große Fortschritte im Bereich maschinellen Lernens, die zum Beispiel dazu geführt haben, dass Computer inzwischen besser Go spielen als Menschen. Das Reinforcement Learning, welches diese Erfolge ermöglichte, wurde auch erfolgreich in einer Reihe von anderen Problemen angewendet, zum Beispiel bei der Proteinfaltung, aber auch in mathematischen Anwendungen. Large Language Models sind mittlerweile in der Lage, verschiedene Dinge zu tun: z. B. · Mathematikaufgaben aus dem Schulunterricht (und allen anderen Fächern) zu lösen, · zwischen verschiedenen Sprachen zu übersetzen, · simple Computerprogramme zu schreiben. Bei welchen Aufgaben in der Mathematik können solche Methoden aus dem Bereich des maschinellen Lernens hilfreich sein? Einiges dabei wird spekulativ sein und wir wollen auch diskutieren, ob es prinzipielle Grenzen bei der Anwendung solcher Methoden gibt. Ebenso soll die Frage erörtert werden, inwieweit sich die Situation in der Mathematik auf andere Wissenschaften übertragen lässt. 

Seminarleitung: Moritz Firsching, Nikolas Kuhn
Veranstaltungsort: Haus Villigst

Zeitraum: 12. - 17. August 2024
Dauer: 6 Tage

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D 3 / Kann man noch vertrauen? Sollte man noch vertrauen? Trust in Light of Global Challenges

(Wem) Kann man noch vertrauen? (Wem) Sollte man noch vertrauen? – ein Seminar über »Vertrauen« im globalen Zeitalter.
Ohne Vertrauen können keine menschlichen Beziehungen entstehen, sich entwickeln oder Krisen durchstehen.
Ohne Vertrauen gibt es keine lebendigen Gemeinschaften. Vertrauenskrisen prägen jedoch unsere Gesellschaft, aber auch das globale Umfeld: Fehlinformationen geben sich den Anschein der Wissenschaftlichkeit und verbreiten sich rasch, sodass Medien nicht unbedingt als vertrauenswürdig erscheinen, Regierungsmitglieder überzeugen nicht mehr, Religionsvertreter sind zu sehr mit Skandalen verbunden, Experten widersprechen sich; wem kann oder soll man da noch vertrauen? Zu leichtes Vertrauen ermöglicht es z. B. Verschwörungstheorien, sich ungeprüft zu verbreiten; zu viel Skepsis hilft auch nicht, weil sie Beziehungen schwächt oder gemeinschaftliches Handeln verunmöglicht, wie wir es z. B. während der Pandemie erlebt haben, als Impfgegner der Medizin nicht mehr trauten ...
Es war manchmal eine Entscheidung über Leben und Tod. In einer individualistisch geprägten Welt, angesichts unterschiedlicher Vertrauenskrisen, stellt sich die Frage nach dem Vertrauen und den Kriterien, die Menschen helfen können, nicht den Falschen zu vertrauen.

Das Seminar wird sich deshalb mit den folgenden Fragen beschäftigen: Was ist Vertrauen? Wie kommt es dazu, dass Menschen einem anderen Menschen, einer Institution, einer Religion, einer Marke ... Vertrauen?
Was spielt alles an menschlichen Faktoren mit? Wie baut man Vertrauen auf? Wie wird Vertrauen gebrochen? Wie kann es ggf. wiederhergestellt werden? Was sind die besten Strategien, um Vertrauen aufzubauen und wiederherzustellen? Wie kann eine Person am besten entscheiden, wem sie ihr Vertrauen (nicht) schenken oder ggf. entziehen soll?

Das Seminar greift auf die Expertise des Netzwerkes »Trust & Society – The Global Network on Trust« zurück: International ausgewiesene Forscher*innen aus unterschiedlichen Fachbereichen (Soziologie, Politologie, Psychologie, Philosophie, Theologie ...) tragen dazu bei, dass die Seminarteilnehmer*innen zuerst verstehen, wie Vertrauen unterschiedlich definiert wird und was in der Vertrauensdynamik (Entstehen oder Aufbauen, Verlust und ggf. Wiedergewinnen von Vertrauen) mitspielt. Dieses Wissen wird auf Fallstudien angewandt, die sich mit Gruppen und Organisationen beschäftigen, die versucht haben, Vertrauen (wieder) zu gewinnen. So entsteht ein »Vertrauenslabor «, in dem verschiedene Strategien erprobt und evaluiert werden.

Seminarleitung: Dr. Matthew Pawlak
Veranstaltungsort: Haus Villigst

Zeitraum: 12. August - 17. August
Dauer: 6 Tage

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D 4 / Was allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war … Ernst Blochs Ontologie des Noch-nicht-Seins

»Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst […] Der Mensch also wird hier verstanden und angezeigt als etwas, das sich selber noch unmittelbar, grundhaft verdunkelt, ja noch gar nicht gegenwärtig ist […] Mit seiner ganzen Welt noch auf Fahrt befindlich, die Ordre ist noch nirgends ausgemacht, doch in der Entdeckungsfahrt ihrer selbst möglicherweise erhellbar, ja überhaupt erst bildbar.«

Im geplanten Lektüreseminar zur Philosophie von Ernst Bloch (1885–1977) geht es um menschliches als utopisches, von Hunger getriebenes und auf Hoffnung ausgerichtetes Denken, wobei dessen Bedeutung gerade in Zeiten vorherrschender Dystopien neu auszuloten ist: Tagträume vom aufrechten Gang und der Menschwerdung des Menschen, dessen Sein aufgrund des »Dunkels des gelebten Augenblicks« noch nicht feststellbar, sondern beständig auf Zukunft ausgerichtet ist, bilden Kern und Material des Utopischen. Von Kindheit an antizipieren wir Unfertiges, Unerfülltes, Noch-Ausstehendes, vermittelt durch Träume, Fantasien, Erzählungen, Kunstwerke. Bloch zufolge durchzieht der Geist der Utopie jedoch auch Realgeschichte und Naturbilder, gilt doch in seiner Lesart für die Welt insgesamt, dass ihre wirkliche Genesis nicht am Anfang, sondern am Ende ist. Welche geistesgeschichtlichen Voraussetzungen und philosophischen Ziele hat eine darauf gegründete Ontologie als Lehre von den Grundlagen und Strukturen des Seins? Was unterscheidet eine konkrete, gelehrte Hoffnung von einer abstrakten, schwärmerischen Utopie? Welche Chancen – und Gefahren – haben positive Utopien heute überhaupt noch in einer Welt voller heilloser Festlegungen und (un)berechenbarer Katastrophenszenarien? Und wie verhält sich Blochs marxistisch geprägte Enderwartung eines Reiches ohne Gott zur christlichen Eschatologie – die ohne Zweifel wesentliche Impulse von ihm erhalten hat – mit ihren eigenen Bildwelten, speziellen Inhalten und Erwartungshorizonten?

Die Teilnahme am Seminar steht allen Interessierten offen. Philosophische Vorkenntnisse sind nicht erforderlich, wohl aber die Bereitschaft, sich intensiv mit gehaltvollen, in einer speziellen (und reizvollen!) expressionistischen Sprache verfassten Texten zu beschäftigen. Die Überschrift der Ausschreibung zitiert den letzten Satz aus Blochs Hauptwerk »Das Prinzip Hoffnung«. Wir werden überwiegend Auszüge aus diesem Werk lesen. Ein Reader wird vorab an alle angemeldeten Teilnehmer* innen verschickt. Ferner ist eine Tagesreferentin (voraussichtlich Prof. Dr. Petra Gehring) für einen Vortrag zum Verhältnis von »Traum und Wirklichkeit« angefragt. Außerdem ist eine abendliche / nächtliche Lesung utopischer Texte aus Bibel und/oder Belletristik geplant.

Seminarleitung: Prof. Dr. Knut Berner, Prof. Dr. Heiko Schulz
Veranstaltungsort: Wittenberg

Zeitraum: 16. - 20. September
Dauer: 5 Tage

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