Gedanken zum Monatsspruch

»Jesus Christus spricht: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet.« (Mt 5,44-45)

So lautet diese zentrale Stelle des zweiten Testamentes aus der Bergpredigt Jesu in der Fassung der Einheitsübersetzung, die für diesen Monatsspruch ausgewählt worden ist.

Diese Zumutung muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: »Liebt eure Feinde«! Wie soll das gehen? Erst sollst du dich lieben und deinen Nächsten - was beides ja schon nicht wenig ist – und nun auch noch die Feinde. Noch schlimmer: »und betet für die, die euch verfolgen«. Also vor Gott für die eintreten, die dir ans Leder wollen. Warum? »Damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet.«

Also andersherum: Wenn ich ein Kind Gottes, unseres Vaters im Himmel sein möchte, dann sollte ich für die beten, die mich verfolgen und meine Feinde lieben. Heftig.

Geht das? Sicher nicht immer, aber auch nicht gar nicht. Denn nun folgt im Matthäustext eine Reihe von nachgeschobenen Begründungen, die durchaus überzeugend sind, wie ich finde: »denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr damit Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden? Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist!« (45b-48)

Ein hoher Anspruch, den Jesus da an seine Nachfolger*innen hat: lieben, einfach lieben, komplett lieben.

Angelus Silesius hat seine Einsicht in die Richtigkeit dieser Forderung in seinem Cherubinischen Wandersmann 1675 unter anderem so formuliert: »Das Maß der Seligkeit mißt ihr die Liebe ein; Je völler du von Lieb, je selger wirst du sein.«

Und Erich Fried – kein Gläubiger im klassischen Sinne – formuliert seine Einsicht in seinem bekannten Gedicht ›Was es ist‹ so:

»Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe«

Eben - es ist, was es ist, sagt die Liebe!

Einen liebevollen Sommer und bleibt/bleiben Sie gesund und Gott befohlen.

Ihr/Euer Wolfram Gauhl



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