Zukunftssorgen machen sich breit. Und das in vielerlei Hinsicht. Das betrifft auch unsere Demokratie und nicht minder unsere Kirchen. Kurzum: Es herrscht Kriseneindruck. Auch wenn die Krise der Demokratie und die Kirchenkrise keineswegs identisch sind, so lassen sich doch zumindest ähnliche Herausforderungen erkennen. Beide, Demokratie wie Kirche, leben von einem Miteinander von unterschiedlichen Ansichten, Herkünften, Milieus und Mentalitäten, bei allem notwendigem Streit. Und ja, beide ringen um die Suche nach guten Antworten, gar nach Wahrheit, die für möglichst viele vertretbar sind. Doch wie steht es eigentlich um die Demokratie in der Kirche bzw. in den Kirchen? Für den katholischen Bereich ist das zu einer zentralen Frage im synodalen Prozess geworden. Aber auch die evangelischen Landeskirchen müssen um ihrer Zukunft willen sich neu aufstellen angesichts von Milieuverengung, Mitgliederschwund und Kostendruck.
Wie aber lässt sich dies demokratisch gestalten? Genügt hier der Verweis auf die presbyterial-synodale Verfassung? Oder ist schon die Idee, man könne Kirche ebenso demokratisch gestalten wie andere Bereiche von Staat und Gesellschaft, ein fehlgeleiteter Gedanke? Geht es doch um eine größere Wahrheit? Umgekehrt lässt sich an vielen Krisensymptomen der Kirche(n) etwas davon ablesen, was auch unser demokratisches Gemeinwesen in Gänze betrifft. Welchen Beitrag können dann aber christliche Kirchen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserer Demokratie (noch oder gerade) leisten? Fragen über Fragen, die auf ein schwieriges und spannungsreiches Verhältnis verweisen.
In diesem Seminar im Rahmen der Sommerakademie 2023 „Der Wert der Demokratie“ wollen wir uns diesen Problemen widmen. Einmal dadurch, dass wir nach (ideellen) Nähen und Fernen dessen fragen, was Demokratie und Kirche ausmacht und kennzeichnet. Dies geschieht vor allem im Gespräch mit wichtigen Stimmen aus der politischen Theorie, Ekklesiologie und theologischen Ethik. Sodann, indem wir die konkreten Praxen und Verfahren von demokratischer wie synodaler Willensbildung und Entscheidungsfindung sichten und auf den Prüfstand stellen. Schließlich dadurch, dass wir in den Austausch mit Menschen in der Praxis treten, die als Synodale oder als Beauftragte auf dem Schnittfeld von (evangelischer) Kirche und Politik verantwortlich zeichnen für das Gelingen (oder bisweilen womöglich auch Misslingen) von Demokratie in der Kirche und für das demokratische Engagement der Kirche in unserer Zivilgesellschaft. Welche Zukunft wünschen wir uns für unsere Demokratie? Und wie können wir künftig mehr Menschen in kirchliche Entscheidungsprozesse einbinden und für kirchliche Mitarbeit gewinnen? Fragen, die sich nicht nur an Politikwissenschaftler*innen und Theolog*innen richtet, sondern an jede aufrechte Demokratin und jeden aufmerksamen Christenmenschen.
Seminarleitung:
Dr. Georg Kalinna ist seit August 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Post-Doc am Lehrstuhl für Systematische Theologie am Institut für Evangelische Theologie an der Universität Hildesheim. Nach seinem Studium der Evangelischen Theologie und Rechtswissenschaften in Bonn, Göttingen und Berlin wurde er über eine Arbeit zur politischen Ethik des Protestantismus in den 1950er und 1960er Jahren promoviert. Derzeit arbeitet er an einem Hablitationsvorhaben zu Machtvorstellungen und -strukturen in der evangelischen Ekklesiologie und Kirchentheorie.