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Geistliche Impulse

Monatsspruch

Ein lächelnder Mann mit weißem Hemd und gelber Fliege im Freien, im Hintergrund grünes Laub.

»Ich bin Villigst sehr dankbar dafür, dass sie nicht nur meine Forschungsaufenthalte im Ausland finanziert haben und dass durch die so ermöglichte Teilnahme an Konferenzen und Austauschformaten im Ausland, meine Forschungsergebnisse eine viel größere Reichweite bekommen haben.«

Monatsspruch November 2025

Der letzte Vers gehört nicht zum Monatsspruch. Er wird als zu hart empfunden. Die Botschaft soll doch sein: Gottes Aufgabe ist aufzubauen und zu erbauen, nicht zu vernichten und zu erschrecken. Die Botschaft des Monatsspruchs ohne den harten Vers soll sein: Wo menschliche Kräfte versagen, wo Menschen Versprengtes nicht mehr zurückholen und Zerbrochenes nicht mehr heilen können, tritt Gott mit seiner Liebe und Wundermacht ein, so wie es dann Jesus tut.

Aber das sagt Ezechiel nicht. Der Vers ohne seine harte Zuspitzung nimmt polemisch Bezug auf eine von Menschen, konkret von Regierungen, zu leistende Aufgabe, die sie aber zu erfüllen sich weigern. Es ist Ezechiel zufolge Pflicht und liegt in der Kompetenz Regierender – wie Vers 36,4 ausführt – die Schwachen zu stärken, Kranke zu heilen, Zerbrochene zu verbinden, Versprengte zurückzuholen, Verlorene zu suchen. Das ist nicht eine Staatspflicht neben anderen, zu denen etwa die Fähigkeit, Kriege zu führen, dazu käme, sondern Regierende sind überhaupt nur dazu da, das zu tun, wovon der Vers spricht: »weiden und für Recht sorgen«.

Gott reagiert mit seiner Ankündigung, selbst tätig zu werden, auf das komplette Regierungsversagen, das darin besteht, statt aufzubauen »mit Gewalt niederzutreten« (Vers 4) oder statt einen Ausgleich zwischen Starken und Schwachen, zwischen Armen und Reichen herbeizuführen, die Hungernden sterben zu lassen, damit im Bild gesprochen, die Fetten immer fetter werden können. Die Starken sind stark, weil sie auf Kosten der Schwachen, der Verlorenen leben und Menschen allererst zu solchen machen. Für Recht zu sorgen, heißt unmöglich zu machen, dass Starke auf Kosten von Schwachen leben.

Im mit der kapitalistischen Ordnung der Gesellschaft versprochenen Fortschritt sah der Philosoph und Kulturkritiker Walter Benjamin (1892–1940) 1940 »eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft«. Er geht so weit, die dauerhafte Perversion des Regierungshandelns, das, statt aufzubauen und »das Zerschlagene zusammenzufügen«, Tote und Trümmer produziert und dies alternativlosen Fortschritt nennt, als durch Gott nicht mehr kompensierbar anzusehen. Anders als Ezechiel Gott noch sagen lässt.

Was Menschen einander und damit auch Gott als ihrem Schöpfer antun, übersteigt selbst dessen Kräfte, solange der Katastrophe des Fortschritts, der Produktion von Toten und Trümmern, der Zurichtung von Menschen darauf, andere auszubeuten und zu Verlorenen zu machen, die Zurichtung darauf, töten zu können, nicht Einhalt geboten wird. (zitiert nach: Walter Benjamin Gesammelte Schriften I.2, S. 697f.)

Der November mit Volkstrauertag, Buß- und Bettag, Totensonntag und 1. Advent könnte der Besinnung darauf dienen, Gott nicht noch mehr Tote vor die Füße legen zu wollen.

Markus Hentschel

Monatsspruch Oktober 2025

»Als er von den Pharisäern gefragt wurde, wann das Reich Gottes komme, antwortete er ihnen: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten könnte. Man nicht auch nicht sagen können: Hier ist es oder Dort ist es! Denn seht, das Reich Gottes ist mitten unter euch.« Lukas 17, 20–21

Ich finde es nicht leicht, der Versuchung zu widerstehen, das Kommen des Reiches Gottes in eben genau dem Sinn zu sehen, den Jesus verneint. Das Kommen des Reiches dingfest machen zu können, entspringt und entspricht der Sehnsucht nach der Erfüllung aller Bedürfnisse.

Umso erschreckender ist es, wahrzunehmen, was geschieht, wenn Menschen dies in der Tat tun: mit Inbrunst auf das Kommen des Reiches zu zeigen und zu sagen: »Hier ist es.« Die achtstündige Übertragung der »Trauerfeier für Charlie Kirk« war ein solches Ereignis: der Turning Point, die Wende zum Kommen des Reiches, so wie ein Kommentar zum Video der Trauerfeier es ausdrückt: »This is a REVIVAL in America. It’s good vs evil now evil will be defeated in the end!«

Eine Wende zum Sieg Gottes, so wie Sergio Gor, der Direktor des Personalbüros des Weißen Hauses predigt: »Charlie knew that we are in a spiritual war for the heart, soul and future of America.«

Dass der Sieg Gottes mit der der Größe »Americas« gleichgesetzt wird, wie ein anderer User es feiert: »This is USA I love! Glory to Jesus, not only America, but the whole world belongs to God«, ist zwar reine Blasphemie, tut aber der Inbrunst der Gewissheit »Hier ist es« sagen zu können, keinen Abbruch.

Jesus meint im Gespräch mit den Pharisäern, die von solcher Blasphemie durch einen Abgrund an Gottesfurcht getrennt sind, dem Verlangen, sich aufs Kommen des Reiches einstellen und seiner habhaft werden zu können, durch den Verweis einen Riegel vorschieben zu können, dass er sagt: »Ihr könnt euch aufs Kommen des Reiches nicht einstellen, weil es bereits da ist«, und zwar untrennbar verbunden mit der Person Jesu selbst. Und als ob er ahnte, dass der Verweis auf sich selbst als die irritierende Gegenwart des Reiches allein nicht ausreicht, zu verhindern, Gott für die eigenen Lebensinteressen zu instrumentalisieren, und so als ob er ahnte, dass auch er selbst, Jesus, zum bloßen Mittel eigener Herrschaftsgelüste degradiert wird, warnt er, ihn zum Messias, zum Weltherrscher zu machen, auf den man ebenfalls zeigen könnte. »Man wird zu euch sagen: Dort ist er oder: Hier ist er! Geht nicht hin, lauft nicht hinterher!« (Lukas 17,23)

Nun würde man, denke ich, und ich bin ja selbst schon dabei, es zu tun, indem ich mich empöre, in dieselbe Falle der Blasphemie tappen, wenn man die Inbrunst der Feier von MAGA als Sieg Gottes über das Böse, wenn man diese, wie ich finde widerwärtige, politisch-religiös-moralische Überzeugung durch eine andere ebenso selbstgewisse Überzeugung ersetzen würde.

Der Jesus, der in Lukas 16 und 17 präsentiert wird, ist nämlich ein höchst irritierender, verstörender Mensch, der einen betrügerischen Verwalter als Vorbild für den Umgang mit den eigenen Ressourcen im Blick auf Gott lobt, Reiche vom Erbarmen Gottes ausschließt, weil sie ihr Gutes schon zu Lebzeiten Gottes empfangen haben, uns schier grenzenlose Vergebungsbereitschaft zumutet und selbst schließlich damit konfrontiert ist, dass von zehnen, denen er das Reich Gottes hat bringen wollen, nur einer, und dazu ein Fremder, das überhaupt erkennt, kurzum eine Gegenwart Gottes präsentiert, die zum Aufbau moralischer Grundsätze nicht taugt. Erbarmen – und darum geht es schon – entzieht moralischen Grundsätzen offenbar den Boden. Das letzte Wort Jesu auf die Frage, wo denn nun solche Gegenwart Gottes statthat, lautet »Wo das Aas ist, da sammeln sich auch die Geier!« (Lukas 17,37)

Markus Hentschel

Monatsspruch September 2025

»Ein Gott ist für uns Fluchtburg und Festung« übersetzt der große Psalmenkommentator Erich Zenger. In dieser Übersetzung wird der konkrete, ortsbezogene Charakter der Zuflucht, die Gott bietet, deutlich. Und nicht von ungefähr ist Psalm 46 die biblische Vorlage für Luthers berühmtes Lied »Ein feste Burg ist unser Gott«. Die Fortsetzung des Verses mit »ein gute Wehr und Waffen« benennt auch genau den Kontext, dem das Bekenntnis zu Gott als Zuversicht und Stärke entstammt, nämlich dem von Schutz bei einem militärischen Angriff.

Die Bergfeste Zion als Jerusalemer Akropolis, auf die Psalm 46 sich bezieht, wird, weil zugleich Ort des Tempels, erfahren, erhofft und benannt als uneinnehmbar, weil Ort der Präsenz Gottes. Diese Zuversicht traf auch historisch angesichts der Rettung vor dem assyrischen Angriff 701 v. Chr. zu, wurde aber mit der Eroberung Jerusalems und der Zerstörung des Tempels durch die Babylonier 587 v.Chr. zuschanden.

Die Zuversicht auf Gott als militärischen Schutz, weil selbst von der Art einer Waffe, fällt in sich zusammen. Dennoch wird der Psalm auch nach der Zerstörung Jerusalems weiter gebetet. Er reflektiert das Scheitern der Waffen, ohne davon zu lassen, von Gott als Ort der Zuflucht vor Gewalt zu reden.

Der Psalm spricht die Erfahrung und Überzeugung aus, dass Krieg und Waffen keine Mittel sind, um Menschen sicher wohnen zu lassen. »Kommt und schaut die Taten Gottes (…), der den Kriegen Einhalt gebietet bis ans Ende der Erde, der Bogen [die damals tödlichsten Waffen, M.H.] zerbricht, Speere zerschlägt, die Lastkarren im Feuer verbrennt.« (Verse 9-10) Psalm 46 steht damit in der Tradition derjenigen biblischen Texte, die sehr deutlich von der Sinnlosigkeit der Produktion von Waffen und der Führung und Vorbereitung von Kriegen sprechen.

Zugleich beschreibt Psalm 46 zwei Transformationen von Gewalt und dem damit einhergehenden lebensfeindlichen Chaos. Die Stadt, der Ort, der sicher wohnen lässt, schützt auch vor dem Toben des Meeres als Inbegriff chaotischer Gewalt. Aber er schließt dieses Element nicht aus. Die Verse 4 und 5 des Psalms lauten: »Wir müssen uns nicht fürchten, wenn toben, sogar wenn schäumen seine [des Meeres] Wasser. Ein Strom! Seine Kanäle erfreuen die Stadt Gottes.« Das tödliche Element bleibt nicht außen vor, sondern kultiviert präsent.

Gleiches gilt für die Vielfalt der üblicherweise gegeneinander gerichteten Völker und Nationen. Damals schon und heute immer noch gehen ja Nation und Kriegsfähigkeit Hand in Hand. In Vers 11 heißt es dagegen im Psalm »Lasst ab und erkennt: Gott bin Ich!« Dieser Gott ist nicht mehr ein Gott der Waffen, sondern einer des universalen (Völker-)Rechts.

Das Bekenntnis zu Gott als Zuversicht und Stärke ist also kein Satz der Realpolitik, sondern geht einher mit dem Bekenntnis zum Recht, das keinen nationalen oder überhaupt menschlichen Souverän mehr kennt.

Markus Hentschel

Monatsspruch August 2025

Wofür Paulus Zeugnis ablegt und wie er dieses Zeugnis begründet, kommentiert der ihn verhörende römische Beamte Festus so: »Du bist von Sinnen Paulus! Das viele Studieren treibt dich in den Wahnsinn!« (Apg. 26,24)

Wahnsinnig ist in den Augen des Vertreters des römischen Imperiums, davon zu reden, dass Jesus, »der Gesalbte viel leiden muss und dass er als Erster von den Toten auferstehen wird,« wahnsinnig ist es des Weiteren, diese Rede als cantus firmus der gesamten religiösen Tradition anzusehen. (Apg. 26,22–23).

Ja, wahnsinnig mag es sein in einer imperialen Welt, in der es nur auf den Sieg und die Sieger ankommt, in der das Recht und das Recht des Stärkeren zusammenfallen, in der die Aufrührer gegen das Imperium eben auch am Kreuz enden können, in der Souverän ist, wer über Tod und Leben bestimmt, davon zu reden, dass dem Souverän die Grundlage der Todesdrohung entzogen ist, weil der Gekreuzigte nicht verschwindet, sondern lebt. Wahnsinnig und lächerlich mag es sein, in einer Welt, in der Kultur und imperiale Tradition eins sind, zu behaupten, dass die wahrhaft menschliche Tradition die der befreiten Unterdrückten ist, dass Leiden nicht Schwäche ist, dass die Subalternen sprechen.

Ähnlich wie bei Festus fällt bereits die Reaktion auf den Auftritt des Paulus auf dem Athenischen Aeropag aus. Die rational gesonnenen griechischen Philosophen sind von dem auf allgemeine Verständigung ausgerichteten theologischen Argument des Paulus, das er zunächst präsentiert, durchaus angetan – und diese unanstößige, friedfertige Redeweise erfreut sich auch heute breiter Anerkennung: »In Gott leben, weben und sind wir (…). Ja, wir sind von Gottes Geschlecht.« (Apg 17,28f.) Als Paulus dann aber fortfährt, das allgemein Göttliche durch Jesus und seine Auferstehung von den Toten zu konkretisieren, erntet er Spott.

Für eine rationale Theologie muss Paulus kein Zeugnis ablegen. Allgemein Vernünftiges braucht kein Zeugnis, sondern versteht sich von selbst. Historisch Kontingentes hingegen ist zeugnisbedürftig. Es versteht sich nicht von selbst. Erst recht nicht, wenn es um die Auferweckung eines Gekreuzigten geht. Für sie als einzigartiges und gleichwohl universal bedeutsames Geschehen Zeugnis abzulegen ist die Lebensaufgabe des Paulus. Die Wahrheit dessen, was er bezeugt, hat er zuvor am eigenen Leibe erfahren. Sah er zunächst seine Pflicht darin, »gegen die Jünger des Herrn mit Drohung und Mord zu schnauben« (Apg. 9,2), wirft ihn die Begegnung mit diesem verfolgten Jesus buchstäblich zu Boden. Was er anderen antut, nämlich ihnen die Lebensgrundlage zu entziehen, erfährt er an sich. Aber nicht die Demütigung ist das Ziel der Begegnung, sondern seine Auferstehung. »Steh auf, stell dich auf deine Füße« (Apg. 26,16). Diese Erfahrung orientiert nicht nur sein Leben, sondern auch seine Bildung. Und das mag einen dann wirklich in die »Mania« treiben, Gesellschaft und ihre kulturellen Traditionen solange zu dekonstruieren, solange ihre imperial-inhumanen Elemente zu kritisieren, bis ihr humaner Sinn aufleuchtet.

Markus Hentschel

Monatsspruch Juli 2025

Tagsüber lassen sich die Sorgen noch wegarbeiten. Fast meine ich, sie sind vollends erledigt. Aber des Nachts zeigt sich das Gegenteil. Nicht die Sorgen sind erledigt, sondern ich selbst. Des Nachts rollt der Stein der Sorgen wieder den Berg herunter. Sein Grollen weckt mich auf. Meine Schlaflosigkeit ist ebenso real wie sinnlos. Denn sie vermag gegen den Stein der Sorgen nichts. Wir dürfen uns Sorgen-Sisyphos keineswegs als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Immer schon ist die Rede Jesu gegen die Sorge (Matthäus 6,25–34) eine meiner Lieblingsstellen im Neuen Testament. Ich weiß, dass Jesus recht hat. Er überzeugt mich. »Die Lilien auf dem Feld arbeiten nicht und spinnen nicht, aber selbst Salomo in all seiner Pracht war nicht gekleidet wie eine von ihnen.« Jesus zeigt mir, wie schön ich sein kann. Jesu Rede gegen die Sorge scheint das Zentrum seiner Verlockung zum Reich Gottes zu sein. Noch nie haben mich daher die vielfältigen Versuche überzeugt, dieses Gebot, nicht zu sorgen, zu relativieren. Diese Versuche gehen meist in der Richtung der Überschrift, die die Zürcher Bibel diesem Abschnitt gibt: »Von falscher und echter Sorge.« So als ob Jesu meint, sorgt euch nicht um das sog. Weltliche, sorgt euch ums Reich Gottes. Das meint aber Jesus definitiv nicht. »Sorgt nicht« ist ohne Einschränkung gemeint. Nach dem Reich Gottes kann man verlangen, es ersehnen, es suchen, sich nach ihm ausstrecken, man kann es aber nicht ersorgen.

»Sorgt euch um nichts«. Paulus schließt wie in nahezu allen ethischen Weisungen bruchlos an Jesus an. Er belässt es aber nicht bei der Wiederholung des Gebotes, sondern gibt einen Hinweis, wie denn die Kluft zwischen dem Gebot und dem sorgenden Alltag zu überwinden sei. »Bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott.« Ich übersetze: »Haltet fest an der Wirklichkeit des Reiches Gottes, die euch jetzt schon umgibt. Werdet in dieser Wirklichkeit immer heimischer.«

Diese Wirklichkeit, und das unterscheidet sie fundamental von der Wirklichkeit, die mich nicht schlafen lässt, ist nicht die von der Arbeit bestimmte Wirklichkeit. Was mich zunächst und zumeist nicht schlafen lässt, sind die Anforderungen, die die Arbeit (wirklich oder vermeintlich, das spielt keine Rolle) an mich stellt. Die Schlaflosigkeit hat darin ihr wahres Moment, dass sie offenbart: Es wird nie genug sein, denn alle Arbeit dient letztlich diesem »es wird nie genug sein«: Kein Dasein ohne wirtschaftliches Wachstum.

Sodann: In der Schlaflosigkeit der sorgenden Arbeit bin ich ganz vereinzelt. Das Gebot Jesu, wie Paulus es wiederholt, und die Wirklichkeit, auf die er als sorgenfreie verweist, aber richtet sich an eine Gemeinschaft, an nicht vereinzelte Menschen. Die Sorge, die die vereinzelnde Arbeit macht, lässt vereinzelt sich nicht überwinden. Es gehört vielmehr zu ihrem Wesen, dass Menschen in Konkurrenz zueinander treten und auch noch lernen, sie mit Lust zu leben, damit der sorgende Sisyphos endlich zugibt, ein glücklicher Mensch zu sein.
Die Gemeinschaft des Reiches Gottes, in der und aus der Jesus und Paulus leben, kennt das Glück, einander beizustehen. Wie wäre es damit? Mal sehen, welche Last ein Tag in solcher Wirklichkeit dann mit sich bringt.

Markus Hentschel

Monatsspruch Juni 2025

Diese Einsicht formuliert Petrus nach einem intensiven und verstörenden Lernprozess, dem ihn Gott regelrecht unterwirft. Man könnte ja meinen, der Satz von der Würde eines jeden Menschen sei evident und jedem vernünftigen Menschen leicht nachvollziehbar.

Aber für Petrus, stellvertretend für frühe Christ*innen, ergibt sich diese Einsicht nur gegen Widerstände und deren Überwindung. Gott verfährt mit Petrus‘ – nachvollziehbarer – Abscheu vor dem Unreinen in der Art einer Konfrontationstherapie.
Petrus als Jude ist es selbstverständlich und von Gott aufgetragen, zwischen rein und unrein zu unterscheiden. Diese Unterscheidung betrifft viele Alltagsvollzüge, vor allem das Essen. Mögen Menschen »von Natur aus« Allesfresser sein, so sollen sich Juden doch nicht unterschiedslos über alles Essbare hermachen. Diese Unterscheidung zwischen reinem und unreinem Essen gewinnt angesichts der heutigen Fleischindustrie und angesichts der Entscheidung nicht weniger Menschen, sich vegetarisch oder vegan zu ernähren, im Übrigen wieder an Plausibilität. Nicht zuletzt zeigt diese Unterscheidung auch an, dass Menschen nicht gezwungen sein sollen, um des Überlebens Willen alles, was irgend nährt, zu sich zu nehmen. Niemand soll in die unmenschliche Lage kommen, Vögel, Katzen, Hunde, Ratten, alles Getier und schließlich auch noch Tapetenkleister zu essen, wie etwa die Einwohner*innen Leningrads während der 28-monatigen Blockade Leningrads durch die deutsche Heeresgruppe Nord im zweiten Weltkrieg. Gott erscheint Petrus in einem Traum, in dem er ihm befiehlt, all solch ekelhaftes Getier, das zudem auf einem Leichentuch präsentiert wird, zu essen. Petrus weigert sich und vernimmt die für ihn (zunächst) unverständlichen Worte Gottes: »Was Gott für rein erklärt hat, das nenne du nicht unrein.«

Ihr Sinn erhellt sich für Petrus erst in dem Moment, als der römische Hauptmann Kornelius sich ihm demütigt und niederwirft, weil er Petrus als Juden respektiert und für einen Vertreter Gottes hält, also mit dem Ekel vor ihm rechnet. »Auch ich bin ein Mensch«, kann Petrus, zur Einsicht kommend, dann sagen.

Im Falle des Petrus und früher Christ*innen geht Gott also mit einem der stärksten Abwehrgefühle um, um die Einsicht zu bahnen »auch ich bin ein Mensch«. Statt den Ekel zu verdrängen, hebt er ihn nachdrücklich hervor.
Welche (Alb-)Träume müssen uns zugemutet werden, damit »auch ich bin ein Mensch« nicht nur ein dann eher folgenloses Lippenbekenntnis bleibt?

Markus Hentschel

Monatsspruch Mai 2025

Die apokalyptischen Bilder v. a. des Ersten Testaments decken wirklich etwas auf. Dies ist ja der wörtliche Sinn der Apokalypsen: aufzudecken, was ist und was geschieht, wenn ein politisches System der Ungerechtigkeit herrscht, das sowohl militärische wie ökonomische wie ökologische Gewalt eben verheerende Gewalt einschließt.

Das, was bleibt, wo Gewalt herrscht, ist verbrannte Erde und ausgedörrtes Land. Pflanzen, Tiere und Menschen können nicht mehr leben. Das, was Gott mit seiner Schöpfung ermöglicht, nämlich dass Pflanzen, Tiere und Menschen fruchtbar sind und sich mehren, dass sie miteinander als Geschöpfe aus Gott leben und zugleich Leben schaffen, das annihiliert die Gewalt eines Systems, das auf der Ausbeutung aller natürlichen und sozialen Ressourcen beruht, eine Gewalt, die unsere Lebensform durchdringt und manchmal und in den Klimakatastrophen immer offensichtlicher manifest zu Tage tritt.

Apokalyptische Texte benennen und schildern das Unrecht und seine Folgen, für die zumeist niemand verantwortlich sein will. Apokalyptische Texte sind unbeliebt; viele reagieren darauf allergisch. Wer die Wahrheit sagt, wer unnachgiebig auf ökonomischer wie ökologischer Gerechtigkeit besteht, auf der universalen Gleichheit der Lebensrechte der Geschöpfe, muss mit der Abwehr derer rechnen, die von Ungleichheit profitieren. Dass Kirchen als NGOs zur Ehre Gottes des Schöpfers politisch sich äußern und agieren, ist ihre Pflicht.

Ich gedenke des verstorbenen Papstes Franziskus, indem ich den zweiten Abschnitt seiner am 24.5.2015 erschienenen Enzyklika »Laudato Si« zitiere:
»Diese Schwester [Erde, MH] schreit auf wegen des Schadens, den wir ihr aufgrund des unverantwortlichen Gebrauchs und des Missbrauchs der Güter zufügen, die Gott in sie hineingelegt hat. Wir sind in dem Gedanken aufgewachsen, dass wir ihre Eigentümer und Herrscher seien, berechtigt, sie auszuplündern. Die Gewalt des von der Sünde verletzten menschlichen Herzens wird auch in den Krankheitssymptomen deutlich, die wir im Boden, im Wasser, in der Luft und in den Lebewesen bemerken. Darum befindet sich unter den am meisten verwahrlosten und misshandelten Armen diese unsere unterdrückte und verwüstete Erde, die „seufzt und in Geburtswehen liegt“ (Röm 8,22). Wir vergessen, dass wir selber Erde sind (vgl. Gen 2,7). Unser eigener Körper ist aus den Elementen des Planeten gebildet; seine Luft ist es, die uns den Atem gibt und sein Wasser belebt und erquickt uns.«

Mit Papst Franziskus können wir beten:
»Wir preisen dich, Vater, mit allen Geschöpfen,
die aus deiner machtvollen Hand
hervorgegangen sind.
Dein sind sie
und erfüllt von deiner Gegenwart und Zärtlichkeit.
Gelobt seist du.

Sohn Gottes, Jesus,
durch dich wurde alles erschaffen.
In Marias Mutterschoß
nahmst du menschliche Gestalt an;
du wurdest Teil dieser Erde
und sahst diese Welt mit menschlichen Augen.
Jetzt lebst du in jedem Geschöpf
mit deiner Herrlichkeit als Auferstandener.
Gelobt seist du.

Heiliger Geist, mit deinem Licht
wendest du diese Welt der Liebe des Vaters zu
und begleitest die Wehklage der Schöpfung;
du lebst auch in unseren Herzen,
um uns zum Guten anzutreiben.
Gelobt seist du.«

Markus Hentschel

Monatsspruch April 2025

Mit dieser Frage ist der emotionale Kern der Emmaus-Geschichte berührt. Jesus begleitet nach seiner Auferweckung zwei Jünger, ohne dass sie ihn erkennen. Erst in der Rückschau, als er sich zuvor im Abendmahl offenbart hat, identifizieren sie den Unbekannten auf dem Wege mit Jesus, und zwar mit eben dieser Frage.

Die Emmaus-Jünger, so heißt es zu Beginn, »redeten miteinander von all diesen Geschichten.«
Die Männer, so traurig sie sind, lassen nicht davon ab, das zu tun, was in der Bibel fortwährend getan wird: erzählen. Wozu wir oft erst animiert werden müssen, nämlich Lebensgeschichten, nicht Erfolgs- und Prestigegeschichten, sondern Lebensgeschichten miteinander zu teilen, das ist für die Emmaus-Jünger Grundnahrungsmittel.

Die Bibel hält Dutzende von Lebensgeschichten in Erinnerung: Geschichten davon, wie Menschen glücklich wurden, aber ebenso davon, wie Hoffnungen zerstört wurden. So traurig und ohne Perspektive die Emmaus-Jünger sein mögen, sie vergessen ihre Hoffnungen nicht, auch nicht ihre größte Hoffnung: »Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde.« Das Unverständnis über das Ende der größten Hoffnung ist nicht das Ende des Erzählens, so als ob eine Kraft von jenseits der Hoffnungslosigkeit noch hilft, erzählend nach vorne zu leben.

Wenn die Jünger vom Verlust ihrer größten Hoffnung erzählen und nicht schweigen trotz des Bewusstseins, es ist alles vorbei, lassen sie ihr Leben nicht ohne Abschluss einfach liegen wie etwas unwiderruflich Zerbrochenes, sondern knüpfen erzählte Zeit ans Gebrochene an. Sie stellen ihr Leben in die Reihe der vielen Hoffnungs- und Verlustgeschichten der Bibel. Was sie erlebt haben ist genauso wichtig wie das, was Abraham und Sarah, Jakob und Joseph, Miriam und Mose widerfahren ist.
Aber der Verlust ihrer Hoffnung, und der ist ebenso schmerzhaft wie der Tod Jesu selbst, verdunkelt ihnen den Sinn der vergangenen Geschichte(n). Sie finden sich in ihnen nicht mehr zurecht.

»Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift eröffnete?« Jesus tröstet die Emmaus-Jünger nicht über ihren Verlust hinweg, er übt sich auch nicht in mitleidiger Einfühlung, sondern wird ihnen Hermeneut, deutet ihnen – nicht unmittelbar ihr Leben – sondern die zentralen Geschichten, deren Sinn ihnen abhanden kam. In einem Kursus konzentrierter Schriftauslegung, dem die Jünger folgen, ohne sich durch ihre Trauer davon abhalten zu lassen, wird ihr Leben in der Enge ohne Vergangenheit und Zukunft nach rückwärts wieder weit und nicht nur nach rückwärts. Das Herz brennt. Es lebt auf. Es geht von innen gegen die Erstarrung an, es schmerzt von neuem Leben. Es beginnt sich wieder zu weiten.

Wo dies geschieht, dass Lebensgeschichten erzählbar werden, dass Hoffnungen und Scheitern verknüpft werden können mit Hoffnungs- und Verlustgeschichten des großen Hoffnungsbuches, ist Jesus da. Verständlich, dass die Emmaus-Jünger den Unbekannten bitten: »Bleibe bei uns!«

Markus Hentschel

Monatsspruch März 2025

Was sind das für Zeiten, wo
Ein Zitat aus der Bibel fast eine Torheit ist,
Weil es gegen so viele Untaten nichts vermag?

Der Erfolg der rechtsextremen AfD besteht ja nicht allein, nicht einmal vorwiegend in ihrem erwartbar (ich schreibe diesen Text am 19. Februar) sehr guten Wahlergebnis, sondern vielmehr darin, dass sie es vermocht hat, ihr Narrativ von der Notwendigkeit, die Fremden zu bedrängen, durchzusetzen.
Olaf Scholz (SPD) meint seine Politikfähigkeit dadurch unter Beweis stellen zu müssen, dass er seine Härte in der Migrationspolitik hervorhebt, 40.000 Abschiebungen, Steigerung der Abschiebungen um 70 Prozent seit Beginn seiner Amtszeit, niemand sei bislang schärfer gewesen als er.
Nicht ob das Bedrängen von Fremden Ausweis guten politischen Handelns ist, sondern lediglich das Maß der Bedrängnis steht zur Debatte.
Angesichts dieses Umstandes ist der Demonstrationsruf »Nie wieder ist jetzt« zu ändern in ein »Jetzt ist wieder«.
Der Austritt von Michel Friedmann aus der CDU, die Rückgabe des Bundesverdienstkreuzes des Holocaust-Überlebenden Albrecht Weinberg und des Künstlers Luigi Toscano, der mehr als 400 Holocaust-Überlebende porträtierte, die gemeinsame Erklärung jüdischer Institutionen in Deutschland gegen die AfD, die Warnung der Leiter der acht Stiftungen der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten vor einer Wahl der AfD sind keine vernachlässigbaren Petitessen, sondern zeigen das neue »Wieder« an.

Das Gebot, den Fremden nicht zu bedrängen, ist in Levitikus kein sektorales politisches Gebot, sondern ein fundamentales. Was im Grundgesetz zu Beginn mit Artikel 1 alle staatliche Gewalt verpflichtet, steht in Levitikus zum Schluss einer Reihe von Geboten, die allesamt dem Schutz von Schwachen dienen, Armen (19,9-10), geringfügig Beschäftigten (19,13), körperlich Eingeschränkten (19,14), den noch nicht voll ausgewachsenen Pflanzen (19,23), den Alten (19,32).
Und schließlich dem Schutz derer, die auch noch der bedürftigste Einheimische unter sich zu wissen meinen könnte: den Fremden. Damit die Fremden nicht die bleiben, die unterliegen, unterlegt Levitikus 19 aller Politik ihren Schutz. Ohne diesen Schutz wird alles politische Handeln im Wortsinn substanzlos.

Bertolt Brecht konnte noch hoffen und bitten:
»Ihr aber, wenn es soweit sein wird
Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht. «

Wir können mit Nachsicht nicht rechnen.

Markus Hentschel

Monatsspruch Februar 2025

In jüdisch-rabbinischer Tradition kann der Name Gottes mit dem Ausdruck »ha-Makom«, »der Ort«, wiedergegeben werden. Diese Bezeichnung verwendet die Übersetzung des Psalms 16 in der »Bibel in gerechter Sprache«.

Mit diesem Ausdruck, »ha-Makom«, ist Gott, so wie er/sie in diesem Psalm angesprochen wird, überaus treffend charakterisiert. Denn Gott wird in der Tat als ein Ort der Zuflucht, der Geborgenheit vorgestellt. »Ich berge mich in dir« (Vers 1).
Ja, mehr noch, Gott ist Ort nicht nur des Schutzes, sondern gutem Land gleich, auf dem alles gedeiht, was man zum Leben braucht, ja mehr noch, einem Land gleich, das über das Lebensnotwendige hinaus die Fülle des Lebens, die volle Lebensfreude bereithält.
An diesem Ort, in dieser Landschaft, gibt es, wenn man die Augen öffnet, nicht nur einen Weg des Lebens, nicht nur eine Straße, die zum Ziel führt, erst recht nicht nur den einzigen, womöglich engen Pfad zum Heil, die Landschaft Gottes breitet sich vielmehr weit aus und lädt dazu ein, sie in vielfältiger Weise zu durchschreiten, viele Wege des Lebens zu entdecken.

»Du lässt mich erkennen den Weg des Lebens.
Freude in Fülle liegt vor deinem Angesicht,
Beglückung ist in deiner Rechten immerdar.« (Vers 11)

Gott ist der Ort, an dem der Leib in Sicherheit wohnt, die Landschaft, in der Menschen vor Freude außer sich geraten können, der Land, in dem keine Gräber mehr geschaufelt werden müssen für die Toten, die Hingemetzelten, die Opfer der Gewalt. (Verse 9-10).
Dieser Ort Gottes, der Ort, der Gott ist, wartet darauf von Menschen, warum nicht auch von uns, aufgesucht und betreten zu werden. Oder mögen wir Menschen es nicht, woanders zu leben als in einer Nation, deren Souverän wir, das Volk sind, die gänzlich von uns gemacht und gestaltet ist? Brauchen wir mehr als das Glück ein Territorium, das wir verteidigen können, und für das Menschen geopfert werden, wenn es angegriffen wird? Sind wir Menschen darauf aus, dass uns der Schrecken gewährt wird, an denen aller Gefallen ist (Übersetzung Vers 3, E. Zenger), der Schrecken des Todes?

Halten wir es nicht aus, uns von Gott mit sich als dem Ort der Lebensfülle und Lebensfreude beschenken zu lassen? Brauchen wir statt des Glücks den Hass auf andere, statt des Friedens Hetze und Empörung?

Wollen wir einen solchen Gott überhaupt, der uns beunruhigt in der Nacht, wenn wir eigentlich mit gutem Gewissen schlafen wollen, der uns aber nicht in Ruhe lässt in seiner Abscheu vor Gewalt, der uns beunruhigt mit der Sehnsucht nach Frieden, der uns den Schlaf raubt, weil er uns das Leid anderer an die Nieren gehen lässt (Verse 7+8), weil auch andere diesen Ort brauchen? Wollen wir einen solchen Gott, der weit genug ist für das Glück, die Lebensfülle aller Menschen? Halten wir das aus, andere glücklich zu wissen mit uns auf den Wegen des Lebens in Gottes Land?

Markus Hentschel

Monatsspruch Januar 2025

Im Matthäusevangelium (5,43–48) steht ergänzend und begründend »so werdet ihr Söhne und Töchter eures Vaters im Himmel sein; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte (…) Ihr sollt also vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.«

Jesu Forderung gilt ohne und mit Bezug auf Gottes Handeln ohne Einschränkung. Er unterscheidet nicht zwischen persönlichen und politischen Feinden. Dass er gerade den politischen Feinden selbst so begegnet, wie er es von anderen fordert, zeigt seine Auseinandersetzung mit den Vertretern des römischen Imperiums, sein gewaltloser Weg zum Kreuz. Jesu Forderung kennt auch keine Einschränkung hinsichtlich ihrer Erfüllbarkeit. Zu tun, was Jesu fordert, ist in seinen Augen jedem/ jeder möglich, der/ die Gottes Reich erwartet. Das haben die Christ*innen der ersten Generationen genau so gesehen. Ihnen kam nicht in den Sinn, dieses Gebot für unerfüllbar zu halten. Wer Gottes Reich nicht erwartet, sondern auf die eigene Machtvollkommenheit setzt, der wird sich von Jesu Forderung nicht angesprochen fühlen. Aber dass Menschen Gott zurückweisen bedeutet nicht, dass Gott sie zurückweist. Das macht die Ergänzung des Gebotes der Feindesliebe im Matthäusevangelium deutlich.

Und Paulus, der in Römer 12 Jesu ethische Forderung eins zu eins übernimmt, übersetzt den ethischen Grundsatz in den theologischen Grundsatz: Gott hat sich mit uns versöhnt, als wir noch seine Feinde waren (Römer 5,10).

Das Gebot der Feindesliebe ist mit keinen moralischen und pragmatischen Begründungen versehen, etwa, dass durch Feindesliebe die Welt menschlicher werde, dass sie politisch letztlich erfolgreicher ist als gewaltbasiertes Handeln, dass durch Liebe Feinde zu Freunden werden. Wenn es überhaupt eine Begründung gibt, dann die, dass Feindesliebe, konkret also, Feinden Gutes zu tun, Gott nachahmt und dadurch an seiner Vollkommenheit teilhat.

Die Bemühungen, auch die theologischen, das Gebot der Feindesliebe zu relativieren und zu umgehen, sind zahlreich. Beschämend ist es, wahrzunehmen, dass diejenigen christlichen, v.a. täuferischen Denominationen, die diesem Gebot uneingeschränkt Folge leisten wollten, selbst Gegenstand von Hass, Verfolgung und Häme wurden. Diese Häme reicht bis in die Gegenwart, indem die pazifistischen Folgerungen, die das Gebot der Feindesliebe durchaus nahelegt, als verantwortungsloses Einverständnis etwa mit der menschenverachtenden russischen Kriegsführung verunglimpft wird.

Das Ev. Studienwerk ist keine protestantische Kaderschmiede, in der alle auf jesuanische Ethik zu verpflichten wären, oder eine monastische Einrichtung mit einer (obwohl die Ortsgruppen immer noch Konvente heißen.) Aber solange es eben »evangelisch« ist, sollte sich das Studienwerk der womöglich ärgerlichen Radikalität Jesu stellen.

Euer Markus Hentschel

Monatsspruch Dezember 2024

Das Licht, mit dem wir leuchten und das Licht, mit dem Gott unsere Dunkelheit erhellt, ist das Licht der Güte. Diese Güte braucht keinen großen Aufwand, keine mühsame Vorbereitung, langwierige Planung, öffentlichkeitswirksamen Begleitung. Sie macht nicht viel her. Aber sie ist trotzdem der Glanz des Lebens, der von Gott ausgeht und das Leben von innen her zum Leuchten bringt.

»Entzieh dich nicht deinem Nächsten! Dann bricht dein Licht hervor wie die Morgenröte!« (Jes 58,7-8) Fehlt diese Güte, hat das Folgen. Sie werden im Jesajabuch eindrücklich beschrieben: »Wir hoffen auf Licht, doch es bleibt finster. Wir warten darauf, dass es hell wird, doch wir tappen im Dunkeln. (…) Wir tasten uns voran, als hätten wir keine Augen. Wir stolpern am hellichten Tag, als würde es schon dämmern. Bei bester Gesundheit sind wir wie Tote.« (Jes 59,9-10) So ließe sich auch in weiten Teilen die gegenwärtige politische Situation beschreiben. Dem Getöse von Propaganda und Lüge, der PR für Stärke ohne Erbarmen, dem Maximum an medialer Aufmerksamkeit entspricht ein Minimum an Menschlichkeit.

Die Lebensform Gottes ist die schlichter Güte und elementarer Gerechtigkeit.

An Beispielen dafür unter uns mangelt es nicht.

Ich bin zum Jahresende noch mal die Jahresberichte der Stipendiat*innen durchgegangen, für die ich zuständig bin. Ich habe viele Lichter gesehen. Natürlich auch, aber nicht einmal vorwiegend in den Erfolgen des Studiums als vielmehr vor allem im Engagement neben dem Studium: in der Hilfe für Migrant*innen durch Sprachkurse und Betreuung, in der Arbeit gegen strukturellen Rassismus, in der Auseinandersetzung mit moderner Sklaverei, im Einsatz für Frauen in der Kurdischen Freiheitsbewegung, in der medizinischen Unterstützung für Geflüchtete, in Schulworkshops zur Aufklärung über sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identitäten, in Musik als Entwicklungsressource für straffällig gewordene Jugendliche, im Nebenjob in der Drogenhilfe, in politischer Bildungsarbeit, in Kochkursen für Grundschüler*innen, im ambulanten Kinderhospizdienst, in der Mithilfe bei Tafeln, in der Begleitung von Ukrainer*innen, im Jugendsport, in der freiwilligen Feuerwehr, ….

Ich danke Euch Stipendiat*innen für eure Güte. Lasst Euer Licht weiter leuchten vor den Menschen! Der Glanz Gottes strahlt auf über Euch.

Markus Hentschel

Monatsspruch November 2024

Die Kritiker*innen christlicher Zukunftshoffnung verweisen und beharren darauf, dass »alles bleibt, wie es ist« (2 Petrus 3,4). Dieser Einstellung wird die Erwartung eines neuen Himmels und einer neuen Erde entgegengesetzt. Neu müssen sie sein, weil unter den gegebenen Verhältnissen Gerechtigkeit unmöglich ist. Sind diese doch gerade durch die Fortdauer von Ungerechtigkeit gekennzeichnet.

Der Satz aus dem 2. Petrus-Brief sagt: »So kann es nicht bleiben.« So sprechen natürlich nicht diejenigen Menschen, die von den gegebenen Verhältnissen profitieren und deshalb ihre alternativlose Notwendigkeit behaupten.

»So kann es nicht bleiben« – der Ruf nach einer Revolution der Gerechtigkeit hat gleichwohl eine nicht zu übersehende Schattenseite. Geht doch im 2. Petrusbrief so deutlich wie kaum sonst im Neuen Testament die Ankunft des neuen Himmels und der neuen Erde mit der vollständigen Vernichtung des alten Himmels und der alten Erde, sprich der bisherigen Schöpfung einher. Das Neue entsteht in einem maßlosen Gewaltakt.

Ich kann den Ausdruck christlicher Zukunftshoffnung im 2. Petrusbrief nicht trennen von den mit ihr verbundenen Vernichtungsphantasien. Die Hoffnung auf Gerechtigkeit wird durch die Weise, wie sie herbeigeführt werden soll, für mich in Mitleidenschaft gezogen. Das wird auch an den gegenwärtig wieder dominanten Ansichten darüber liegen, wie politische Veränderungen sich vollziehen sollen: Neues – so wird behauptet – kann und soll erst dann werden, wenn »der Feind« vernichtet ist. Noch knapper formuliert: Gewalt wird nicht nur als eine, sondern als die Lösung dargestellt– aussenpoltisch und innenpoltisch.

Diese Vorstellung einer Zukunft durch Gewalt verdirbt mir die Hoffnung eines neuen Himmels und einer neuen Erde. Ich möchte den bestehenden Himmel und die bestehende Erde, die gegenwärtige, gefährdete Schöpfung weder real noch in Hoffnungsbildern vernichtet wissen.

Die theologische und politische Vorstellungskraft möchte ich vielmehr darauf gerichtet sehen, was vor dem Verlust, dem Vergehen, Verschwinden, der Vernichtung bewahrt werden kann und wie dies geschehen soll.

In den Gleichnissen Jesu vom Reich Gottes bleibt wahrlich nicht alles beim Alten, die Welt steht Kopf, aber es wird immer noch, nein endlich richtig, gegessen und getrunken.

Markus Hentschel