Adventsimpulse

»Villigst bedeutet für mich lebenslange Freundschaften, die Wertschätzung handwerklicher Arbeit, die Akzeptanz der unterschiedlichen Begabungen und die Verantwortung
Gesellschaft aktiv mitzugestalten.«
Impuls zum 4. Advent
Anfang Dezember konnte ich gleich in zwei Chören das »Magnificat« des englischen Komponisten John Rutter mitsingen. Der anglikanische Musiker vertont den Lobgesang der schwangeren Maria »Magnificat anima mea Dominum«, den Maria bei ihrer Verwandten Elisabeth, die ebenfalls schwanger ist, anstimmt (Lukas Kapitel 1, 46-55). In den Lobgesang Marias webt Rutter ein altenglisches Gedicht »Of a Rose« aus dem 15. Jahrhundert ein – die Rose als spätmittelalterliches Bild der Gottesmutter.
Bei Marias Lobgesang geht es um den Lobpreis Gottes, der die Mächtigen vom Thron stürzt und die Hungernden und Unbedeutsamen aufrichtet. Sie ist davon überzeugt, dass sich Gott um die Geringen und Machtlosen kümmert, so wie sie selbst erfahren hat, dass Gott in ihrem Leib den verheißenen Heiland heranwachsen lässt. Das lässt sie jubeln: »Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.«
In die tongewaltige Musik des Komponisten John Rutter, Ende Mai 1990 in New York uraufgeführt, wird das Vom-Thron-Stürzen der Mächtigen mit Fortissimo in den Männerstimmen Tenor und Baß und mit volldröhnendem Orchester sinnlich erfahrbar. Man spürt förmlich den Kampf, der diejenigen hinwegfegt, die andere unterdrücken. In Syrien wird es vor zwei Wochen auch ein islamisches »Magnificat« gewesen sein, als das mörderische Assad-Regime binnen Tagen gestürzt wurde. Hand aufs Herz: Haben Sie nicht auch ungläubig die Nachrichten vom so schnellen Sturz der Diktatur verfolgt?
Was steckt da für eine Sprengkraft hinter der Überzeugung der Maria, dass mit der Ankunft Gottes, theologisch als Anbrechen der Gottesherrschaft gedeutet, alles gut wird! Eine Gewissheit, dass Unrecht und Unterdrückung nicht ewig dauern. Gewöhnlich fällt uns das schwer zu glauben angesichts des weltweiten Unheils – in Europa mit dem fast drei Jahre dauernden Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine besonders nah liegend. Historische Momente wie das Ende der Diktatur in Syrien oder auch die friedliche Revolution in der damaligen DDR 1989 mitsamt dem Fall der Berliner Mauer zeigen uns aber von Zeit zu Zeit, dass sich selbst eine diktatorische Zwangsherrschaft nicht auf Dauer aufrecht erhalten lässt.
Wenn wir in wenigen Tagen Heiligabend und Weihnachten feiern, lohnt sich ein Gedanke an die schwangere, überschwängliche, jubelnde und revolutionäre Maria, nicht an die demütig und sanft vor der Holzkrippe betende Maria, wie sie uns die aus Holz geschnitzten Krippenfiguren zeigen. Denn in der biblischen Maria des Lukas-Evangeliums wird die Kraft des Christentums und von Religion deutlich, die gesellschaftliche und soziale Ordnungen und Strukturen verändern und Leben verwandeln kann, wenn man an die Kraft der Wirksamkeit des Reiches Gottes glaubt.
Marcus Nicolini ist Studienleiter im Ressort Vernetzung
Impuls zum 3. Advent
Wenn der Advent kommt, dekorieren wir zuhause das ganze Haus: die Fenster werden mit Strohsternen geschmückt, der Herrnhuter Stern hängt oben im Fenster, das Engelsorchester aus dem Erzgebirge steht auf der Fensterbank und der Adventskranz hängt im Wohnzimmer von der Decke. All das machen wir, weil wir uns vorbereiten wollen. Vorbereiten auf die Ankunft Gottes als Mensch in der Welt. Es soll schöner aussehen, als im normalen Alltag, erwartungsfroher.
Manchmal aber, ist es zwar hübsch anzusehen bei uns, aber wir selbst hetzen in der Adventszeit nur so durch die Gegend: noch so viel Arbeit zu erledigen, Klausurtagung, Weihnachtsfeier, Senatstreffen, letzte Arbeiten vor den Winterferien, Krippenspielproben, Adventsandachten auf den Dörfen und, und, und. Adventliche Stimmung und dieses gespannte Warten, was Kinder sowieso am besten können, kommt da nur schwer auf.
Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! 4Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden. Jesaja 40,3
So heißt der Vers, der die dritte Adventswoche begleitet. Da steht gar nichts von Krippenspielproben, Dekorationen und Klausurtagungen. Da steht, dass der Herr bald kommt und dass wir den Weg bereiten sollen. Es braucht scheinbar nur zweierlei: uns, die vorbereiten und ihn, der kommt.
Ich vermute mal, vielen von Euch geht es ähnlich wie mir. Wir kommen vor lauter Beschäftigungen wie Hausputz, Geschenkekauf, Weihnachtskartenschreiben und Plätzchenbacken kaum mal zur Ruhe und Besinnung.
Vor lauter „Vorbereitung“ vergessen wir das Wesentliche gleich doppelt: uns selbst und den, um den es eigentlich geht: Jesus. Wir selbst sind oft, wenn Weihnachten dann wirklich kommt, fast schon erschöpft.
Ich meine, wir sollten es ab jetzt mal anders machen; wie gut, dass der Advent uns immer noch zwei Wochen Übezeit einräumt, um das Wesentliche herauszuarbeiten – und das sind nur er und ich.
Ja, genau, es darf im Advent mal um mich gehen. Ich darf mir Zeit nehmen, darf es mir schön machen (auch mit Plätzchen und Glühwein oder Punsch) und dieses wunderbare Gefühl der Vorfreude einziehen lassen. Ich darf mal einen Gang zurückschalten, eigentlich muss ich es sogar, denn ich habe da in der Tat ein paar Aufträge, aber die haben nicht wirklich viel mit dem zu tun, was wir gern so in der Adventszeit machen: in meiner Wüste soll ich eine ebene Bahn machen und meine Täler begradigen.
Puh, das ist Arbeit, aber mal ehrlich, das ist echte Vorbereitung. Schau mal hin, in deine Wüste, lädt uns der Vers ein. Schau mal hin und finde einen Weg, denn den gibt es und du bist es, die ihn bahnen kann. Schau mal hin, was du noch für Täler hast, in die du nicht gerne schaust: den Streit mit deiner Freundin, den aufgeschobenen Besuch, all das, was da unten im Tal liegt, oder sich hoch wie ein Berg auftürmt. Mach es eben, mach es wieder zurecht, so werden wir aufgefordert. Du bist wichtig, du bist es wert, durch deine Wüste kommt er.
Das ist Vorbereitung. Das ist Advent. So wird der Weg bereitet. Er und ich. Das genügt.
Von Friederike Faß, Leiterin und Vorstand des Evangelischen Studienwerks
Impuls zum 2. Advent
Singt! Adventslieder! Und wenn es keine Adventslieder sind, die Euch zum Singen animieren, dann singt Eure Lieblingslieder.
Steht auf zum Singen! Im Sitzen singt’s sich schlecht. Der Atem möchte ungehindert strömen. Steht so als ob Ihr stolz wäret zu stehen, nein, weil Ihr stolz seid, Euch zu zeigen. Ganz aufrecht. Fest mit der Erde verbunden und zugleich mit dem Himmel. Euch wirft keiner um, aber Ihr seid auch nicht verkrampft, sondern gespannt entspannt, entspannt gespannt. In gespannter Erwartung der Töne, die kommen werden.
Viele/ einige von Euch singen ja in Chören und wissen, wovon ich spreche, wenn ich vom Singen spreche und vom Einsingen vor dem Auftritt. Ihr kennt die Körperübungen, mit denen das Einsingen verbunden ist und Ihr wisst, wie es sich anfühlt, wenn die Stimme fließt, wenn das Singen anstrengungslos- aber eben nicht spannungslos gelingt.
Im Singen gehen die Töne von uns aus, wir sind es die sie hervorbringen, aber wir empfangen sie ebenso, sie kommen auf uns zu und gehen durch uns hindurch. So wie die Erlösung, das Gelöstsein, von außen auf uns zukommt und zugleich alle unsere Glieder erfasst.
Also singt! So geschieht, was Advent auch meint, was die Adventstexte und Adventslieder beschreiben: »Richtet euch auf und hebt eure Häupter. Eure Erlösung naht.« (Lukas 21,28) Das Kommen Gottes wird als somatisches Geschehen beschrieben: »Macht die müden Hände wieder stark und die weichen Knie wieder fest. (…) Dann gehen den Blinden die Augen auf, die Ohren der Tauben werden geöffnet, der Gelähmte springt wie ein Hirsch, der Stumme jubelt aus vollem Hals«. (Jesaja 35) Überwunden wird die Kraftlosigkeit der Niedergeschlagenheit einhergeht, wie sie Psalm 22 beschreibt »wie Wasser bin ich hingeschüttet, und es fallen auseinander meine Gebeine, wie Wachs ist mein Herz.«
Was beim Kommen Gottes mit unseren Körpern geschieht, es ähnelt dem, was wir tun, wenn wir zum Singen aufstehen, uns aufs Singen vorbereiten und dann wirklich singen, mehr noch, es ähnelt dem nicht nur, sondern in ihn geschieht, was die Texte sagen: »Ich lag in schweren Banden, du kommst und machst mich los; ich stand in Spott und Schanden, du kommst und machst mich groß und hebst mich hoch zu Ehren.« (Evangelisches Gesangbuch 11)
Von Markus Hentschel, Werkspfarrer
Impuls zum 1. Advent
Mit dem 1. Advent beginnt das neue Kirchenjahr. Die Adventszeit ist eine Zeit der Vorbereitung auf die Ankunft Jesu in dieser Welt. Sie ist eine Zeit der Vorfreude und der gespannten Erwartung. So heißt es.
Gespannte Erwartung!
Also »Warten« auf etwas Verheißungsvolles!
»Warten« gehört nun nicht gerade zu meinen Stärken.
»Warten« macht mich nervös; es quält mich.
Ich bin ein ungeduldiger Mensch.
Ungeduldig von Natur aus? Vielleicht.
Ungeduldig aber auch gemacht durch die täglichen Anforderungen im Job, durch die Anforderungen der Partnerschaft, der Familie, durch das Pflegen Angehöriger, durch all die ständigen Erwartungen an mich, die kaum im Zeitrahmen eines Tages unterzubringen sind. Ich muss alles im Griff haben. Alles muss schnell gehen.
Mir bleibt keine Zeit zum »Warten«!
Sind wir ehrlich: das war mal anders.
Früher: in der Kindheit.
Die Adventszeit war wie ein Geschenk.
Das Warten war durchwoben von weihnachtlichem Duft im ganzen Haus, wurde verkürzt durch das Backen leckerer Kekse, dem Basteln von Weihnachtsschmuck, den vielen schönen Weihnachtsgeschichten, die bei uns bei Einbruch der Dunkelheit vorgelsen wurden und dem Singen von Weihnachtsliedern.
Der Advent schenkte uns Zeit für einander!
Die Tage bis zum Heiligen Abend zählten wir in freudiger Erwartung mit dem Öffnen der Adventskalendertürchen.
Immer wieder, zum Jahresende, wünsche ich mir dieses kindliche Gefühl des glücklichen »Wartens« zurück.
Wie in jedem Jahr habe ich mir auch in diesem wieder einen Adventskalender gekauft.
Das Öffnen der Türchen versetzt mich in eine unbeschwerte und entschleunigte Zeit zurück.
Mit jedem geöffneten Türchen wird das Warten wieder zu etwas »Bewusstem«.
Und plötzlich ist sie auch wieder da, die Zeit, um inne zu halten.
Das »Geschenk« der Adventszeit wieder wahrzunehmen.
»Warten« auf den König.
Und mit dem bewussten »Warten« sind auch der Glaube und die Hoffnung wieder da.
Die Hoffnung, dass sich alles zum Guten wendet.
Der Glaube daran, dass es immer wieder einen Neubeginn geben wird.
Mit ihm!
Dem König.
Hosianna, Sohn Davids.
Von Agnes Eroglu, Referentin im Ressort Vernetzung