Tina Schröter

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Promotionsprojekt

»Der Kodex der Kurve. Eine empirische Studie über Sorgepraktiken der Ultraszene«

Das Dissertationsprojekt fokussiert Sorgepraktiken von Ultras, der aktuell größten Fußballfangruppierung in deutschen Stadien. Ihre Supportorientierung ist für Ultras identitätsstiftend, darüber hinaus zeichnen sie sich aber auch durch ihr kollektives Engagement gegen den »modernen Fußball« aus. Denn Ultras sind nicht nur fanatische, sondern – so die Annahme – auch besorgte Fans. Sie sorgen sich vor allem um den »authentischen Fußball«, den sie leidenschaftlich lieben und um ihre emotional-engagierte, aktive Fankultur. Beides erscheint ihnen bedroht durch die fortschreitende Kommerzialisierung und Eventisierung des Fußballsports sowie die damit einhergehende Ausweitung der Sicherheitsmaßnahmen im Kontext von Fußballspielen. Auch sorgen sich die einzelnen Ultra-Gruppen um ihren Ruf innerhalb der Szene, der nicht zuletzt von dem emotionalen Engagement und der vollen leiblichen Präsenz ihrer Mitglieder abhängt, sowie um die Moral ihrer Fankurven. Das Dissertationsprojekt fragt sowohl nach dem »Worum«, als auch nach dem »Wie« ultratypischer Sorge.

Ausgangspunkt der Analyse von Sorgebezügen und -praktiken in diesem Feld ist eine leibphänomenologisch geprägte sozialtheoretische Perspektive, die auf Plessners Positionalitätstheorie basiert. Soziale Akteure werden verstanden als exzentrisch positionierte leibliche Selbste, die aufgrund ihrer spezifischen Reflexionsfähigkeit in der Lage sind, potenziell mögliche Zukünfte zu antizipieren. Zukunft ist für sie unsicher, zukunftsbezogene Erwartungen werden als potenziell scheiternd erlebt und sie sorgen sich, ob bzw. wie die erwartete Zukunft eintrifft. Sorge wirkt dann handlungsmotivierend, wenn Akteure subjektiv in ihrem gegenwärtigen leiblichen Zustand von der Möglichkeit des Scheiterns der erwarteten Zukunft betroffen sind. In sorgemotivierten Handlungen, die auf ein Abwenden dieses Scheiterns zielen, artikulieren sich – so die These – die normativen Erwartungen von Akteuren in Bezug auf das »Worum« ihrer Sorge.

Der Studie liegt ein theoriegeleitetes ethnographisches Forschungsdesign zugrunde, d.h. die zentrale Datenerhebungsmethode ist die (teilnehmende) Beobachtung. Ergänzend werden qualitative bzw. ethnographische Interviews mit Feldakteuren geführt. Die Auswertung des Datenmaterials erfolgt orientiert an den Prinzipien der Grounded Theory. Ziel ist es, eine empirisch gesättigte gegenstandsbezogene Theorie zu entwickeln.

Kurzvita

Tina Schröter studierte Sozialwissenschaften an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (Diplom 2008). Von 2008 bis 2009 arbeitete sie dort als wissenschaftliche Hilfskraft, zwischen 2009 und 2016 als Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Sozialwissenschaften in der Arbeitsgruppe Methoden der empirischen Sozialforschung. Seit Oktober 2015 promoviert sie am Lehrstuhl für Sozialwissenschaftliche Theorie an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg und ist seit April 2016 Stipendiatin des Evangelischen Studienwerks Villigst im Promotionsschwerpunkt Dimensionen der Sorge.