Richard Paluch

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Promotionsprojekt

»Sorgefall: Technisierte Selbstversorgung. Eine sozialwissenschaftliche Analyse der Interaktionsbeziehungen von Personen mit einer Hörgeräteversorgung bezogen auf die Technisierung der Sorge.«

In meiner Dissertation wird untersucht, wie der Einsatz von Hörgeräten die Umweltbeziehung und das Interaktionsverhalten von »hörbeeinträchtigten« Akteuren strukturiert. Wenn Akteure mit einer Hörbeeinträchtigung ein Hörgerät tragen, verändert sich – so die Hypothese – das Verhältnis zu anderen und zu sich selbst. Zum einen wird herausgearbeitet, welche unterschiedlichen Dimensionen der Sorge existieren. Zum anderen, welche Bedeutung der auditiven Sinneswahrnehmung für die Ordnung des Sozialen zukommt.

Um die Interaktionsbeziehungen von Akteuren mit einer Hörbeeinträchtigung soziologisch zu analysieren, beziehe ich mich auf die leibphänomenologisch geprägte Sozialtheorie Gesa Lindemanns. Statt nur mechanisch körperliche Vorgänge in den Blick zu nehmen, soll hier die leibliche Erfahrung in den Fokus gerückt werden. Menschen sind in dieser Arbeit insofern als leibliche Selbste definiert, die sich jetzt (zeitlich) und hier (räumlich) auf ihre Umwelt beziehen, sich wechselseitig sinnlich wahrnehmen, komplexe Gesamthandlungen koordinieren und Technik auf unterschiedliche Weise verwenden.

Diese sozialtheoretische Konzeption erlaubt es, die Überlegungen Georg Simmels aufzunehmen und weiterzuführen. Im Anschluss an Simmel sind interindividuelle Wechselwirkungen durch erfahrbare Sinneseindrücke charakterisiert. Ein Akteur wird durch seine sinnlich wahrnehmbare Anwesenheit in Interaktionen und damit auch in soziale Strukturen eingebettet, ohne dass ein aktives Handeln oder Verhalten erforderlich wäre. Auf diese Weise kann aufgezeigt werden, inwieweit soziale Beziehungen, der Habitus, die kulturelle bzw. gesellschaftliche Prägung (etc.) die Sinneswahrnehmung gestalten können.

Vom empirischen Zugang her gehe ich qualitativ vor. Als Daten dienen sowohl Interviews mit Expertinnen als auch mit Versorgten sowie Feldaufenthalte in entsprechenden institutionellen und wissenschaftlichen Einrichtungen. Die Daten werden mithilfe der Grounded Theory analysiert.

Meine heuristischen Hypothesen sind:

  1. die Interaktion mit der Umwelt unterscheidet sich bei Akteuren, die eine Hörbeeinträchtigung haben, von der Umweltbeziehung derjenigen ohne Hörbeeinträchtigung;
  2. Hörgerätealgorithmen haben einen Einfluss auf die körperlich-leibliche Selbstwahrnehmung;
  3. Ziel der audiologischen Medizin ist die Sorgebeziehung auf eine Wartung von Technologien zu begrenzen. 

Kurzvita

portrait richard paluch

Richard Paluch ist Stipendiat des Evangelischen Studienwerks e.V. Villigst im Promotionsschwerpunkt Dimensionen der Sorge. Er studierte Sozialwissenschaften und Slavistik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (2008–2014) und war von November 2013 bis September 2014 in der Projektgruppe Hör-, Sprach- und Audiotechnologie am Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT angestellt.

Seit 2014 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hörzentrum Oldenburg GmbH sowie Mitglied der Arbeitsgruppe Sozialwissenschaftliche Theorie. Seine Dissertation befasst sich mit dem Thema »Sorgefall: Technisierte Selbstversorgung. Eine sozialwissenschaftliche Analyse der Interaktionsbeziehungen von Personen mit einer Hörgeräteversorgung bezogen auf die Technisierung der Sorge.«. Zurzeit wird seine Arbeit ebenfalls von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) über das Exzellencluster EXC 1077/1 Hearing4all unterstützt.