D1 | Was ist (noch) konservativ?
Schon vielfach wurde dem Konservatismus der Totenschein ausgestellt, doch blickt man auf gegenwärtige politische Debatten, dann lässt sich eine regelrechte Renaissance des Konservativen konstatieren. Die Diskussionen um den vermeintlichen Verlust des konservativen Markenkerns der CDU / CSU, die metapolitischen Initiativen (neu)rechter Akteure zur Etablierung eines authentischen, d. h. antiliberalen Konservatismus oder die Debatten um einen ökologischen Wertkonservatismus als Antwort auf die Herausforderungen der globalen Klimakrise sind Zeugnisse der kontroversen Deutungskämpfe um den Begriff des Konservatismus, in denen jedoch die Konturen der jeweiligen konservativen Selbstverständnisse relativ vage bleiben.
In dem Seminar wollen wir uns an einer historisch-systematischen Kartographierung des konservativen Denkens versuchen, um diese gegenwärtigen Debatten kritisch einordnen zu können. Die Beantwortung der Leitfrage »Was ist (noch) konservativ?« setzt zum einen eine Minimaldefinition des Konservatismus voraus, die wir uns erarbeiten wollen, und zielt zum anderen auf eine Auslotung zweier Grenzbereiche des Konservativen: Erstens expliziert es die dilemmatische Konstellation des Konservativen und fragt, ob und inwiefern sich der Konservatismus in modernen, d. h. nachständischen und säkularisierten Gesellschaften überhaupt noch als originäre Weltanschauung behaupten kann, ohne sich in systematische Selbstwidersprüche zu verstricken. Zweitens blicken wir auf den »Narrensaum« des Konservatismus und beschäftigen uns mit militanten und intransigenten Selbstverständnissen dieses politischen Denkens sowie dessen Beziehungen zum (neu)rechten Milieu.
Nach einer problemorientierten Einführung, in der wir uns mit den theoretischen Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen des Konservativen auseinandersetzen, betrachten wir anschließend wichtige Entwicklungsstufen des konservativen Denkens vom gegenrevolutionären Konservatismus des 19. Jahrhunderts über die Radikalisierung des konservativen Denkens in der Zwischenkriegszeit bis zum ambivalenten Deutungskampf um das Konservative seit den 1960er Jahren. Indem wir uns so den Konservatismus als eine komplexe Ideologie erschließen, lassen sich die eingefahrenen Pfade rein apologetischer oder polemischer Perspektiven auf den Konservatismus überwinden und die Chancen und Risiken des konservativen Denkens in der (liberalen) Moderne kritisch und offen diskutieren. Im zweiten Schritt werden wir dann einige systematische Fragen klären, die für die Gegenwart und Zukunft des Konservatismus äußerst relevant sind: Lässt sich der Konservatismus als Ideologie bzw. Theorie fassen oder steht das Konservative tatsächlich quer zu weltanschaulichen Dingen? Inwiefern kann man zwischen moderaten und radikalen Konservativen unterscheiden? Wie verhalten sich die sehr unterschiedlich geprägten Konservatismen verschiedener Kulturräume zueinander und wie plausibel sind vor diesem Hintergrund Vorstellungen eines universellen Konservatismus?
In dem Seminar werden wir uns geschichts-, politik-, kultur- und sprachwissenschaftliche Zugänge zum Konservatismus gemeinsam erschließen und im Rahmen von konzentrierten Einführungen zu ausgewählten Aspekten des konservativen Denkens, selbstständigen Gruppenarbeitsphasen sowie niedrigschwelligen Impulsvorträgen intensiv mit konservativen Quellentexten und Debattenbeiträgen beschäftigen. Ein Reader mit Texten wird vorab zur Verfügung gestellt, Gastreferent*innen sind angefragt.
Seminarleitung: Tobias Adler-Bartels
Die Anmeldung erfolgt über das Intranet.